Schon wieder ist es mir passiert: Mir wurde eine (überarbeitete) DeepL-Übersetzung untergeschoben. Diesmal von einem Übersetzer, den ich selbst ausgewählt und nach einer wirklich tollen Probeübersetzung beauftragt habe. Und wieder bin ich beim Erhalt der furchtbar schlechten Übersetzung aus allen Wolken gefallen. Und wieder habe ich so viel länger für das Lektorat gebraucht als geplant. Und wieder habe ich mir nach spätestens der Hälfte gesagt: Es wäre besser für meine Nerven gewesen, ich hätte die Übersetzung einfach ignoriert und eine neue erstellt.
Und jedes Mal, wenn ich das jemandem erzähle, werde ich gefragt: Woher weißt du, dass es DeepL ist? Deshalb hier die Liste der Indizien, anhand derer ich den Verdacht bekomme, dass mit einer Computerübersetzung gearbeitet wurde, und genauer hinsehe. Meist wird DeepL genutzt. Im Grunde ist es egal; ich verbiete die Nutzung von DeepL und Konsorten inzwischen ausdrücklich. Schlimm, dass das überhaupt notwendig war.
- Die einfachste Methode ist natürlich, den Ausgangstext von DeepL übersetzen zu lassen und das Ergebnis mit der angeblich humanen Übersetzung zu vergleichen. Das geht gut mit Word unter Überprüfen -> Vergleichen. So erhält man einen Text, in dem alle Unterschiede zwischen den beiden Texten farblich hervorgehoben sind. Dabei empfiehlt es sich, nicht den Beginn des Textes zu nehmen – meist hat der Übersetzer am Anfang noch Motivation und gibt sich bei der Bearbeitung noch Mühe. Also lieber ein Kapitel aus der Mitte nehmen. Diese Methode allein ist allerdings wenig aussagekräftig. Wenn beispielsweise zwei Wörter pro Satz durch ein Synonym ersetzt wurden, ist der Text recht farbig, das heißt, es gibt sehr viele Unterschiede – im Grunde ist es aber dennoch derselbe Text. Umgekehrt kann es sein, dass ein kompletter Absatz übereinstimmt – aber das kann tatsächlich Zufall sein. Manche relativ banalen Sätze übersetzt man halt immer gleich. Deshalb muss man immer genauer hinsehen.
- Die Übersetzung liest sich holperig, die Satzstruktur wurde übernommen, im Englischen ist das gern die Aneinanderreihung von Nebensätzen, die im Deutschen weit unüblicher ist.
- Dieses ständige „er sagte“, „sie sagte“! Im Englischen ist das kein Stilbruch, im Deutschen muss man variieren. Selbiges gilt für 5 Sätze hintereinander, die mit „Ich“ beginnen. Im Englischen okay, im Deutschen nicht. Erfahrene Literaturübersetzer wissen das. DeepL nicht. Leute, die DeepL nutzen, auch nicht.
- Formatierung ist verschwunden, zum Beispiel fett oder kursiv gedruckte Wörter oder Passagen. (Bei der Nutzung der kostenlosen DeepL-Version. Die Bezahlversion ist wohl besser.)
- Zwei Personen duzen sich mal, dann siezen sie sich wieder.
- Bezüge: „The ball was in the house. It was red.“ Ein Computer kann nicht wissen, ob sich das „it“ auf Ball oder Haus bezieht. Im Deutschen ist das relevant.
- Komplett falsch verstandene Sätze. Wenn man nicht das Original liest, sondern nur die DeepL-Version, und DeepL den Satz auch nicht so recht verstanden hat, formuliert man den nur um, und heraus kommt Blödsinn. Mein aktueller Favorit sind ja birnenförmige Karamellschneeflocken.
- Inkonsistente Begriffe. Zum Beispiel, wenn es in dem gesamten Buch über 420 Seiten um einen (Back-)Wettbewerb geht, der dann plötzlich zeitweise zum „Turnier“ wird. Solche Fehler macht kein Mensch.
- Gern entstehen Fehler auch durch die Bearbeitung der DeepL-Übersetzung: „Have you lost your mind?“ – „No, I haven’t.“ „Hast du den Verstand verloren?“ – „Nein, habe ich nicht.“ Nach dem Überarbeiten ist es dann vielleicht: „Bist du verrückt geworden?“ – „Nein, habe ich nicht.“
- Für die Qualität der Übersetzung auffallend wenige Rechtschreib- und Tippfehler. Solche Fehler macht DeepL halt nicht.
- Verkannte Wortspiele, Konnotationen, Anspielungen … all das, was Kreativität erfordert.
Das sind natürlich (fast) alles Fehler, die auch menschlich sein können. Wenn mir solche Fehler jedoch auffallen, vergleiche ich Absatz für Absatz mit DeepL. Und in den allermeisten Fällen merkt man dann, dass nur ab und an ein Wort ausgetauscht wurde. Vielleicht mal ein Nebensatz vorgezogen. Aber oftmals sind die typischen Verständnisfehler von DeepL noch drin; Fehler, die Menschen eher nicht machen. Zumindest nicht, wenn sie übersetzen können. Und wenn sie das könnten, bräuchten sie DeepL nicht.
Ab dem Punkt macht das Lektorat richtig viel Arbeit, denn dann kann man im Grunde noch mal von vorne anfangen und die Übersetzung Absatz für Absatz mit dem Original vergleichen. (Sonst gucke ich nur ins Original, wenn ich in der Übersetzung über etwas stolpere.) Denn bis dahin halte ich schräge Formulierungen gerne für den Stil des Übersetzers, in den ich mich gar nicht einmischen möchte – sobald DeepL im Spiel ist, fällt dieser Respekt vor der (angeblichen) Leistung des Kollegen weg. Dann muss ich den Text anders lesen. Und dann wird es zeitaufwendig. Im vorliegenden Fall hat mich der DeepL-Verdacht leider erst beschlichen, als ich halb durch war – bis dahin hielt ich den Übersetzer einfach nur für bemerkenswert schlecht. Denn, wie gesagt: Anfangs geben sich solche Leute noch Mühe. Übersetzen anfangs vielleicht sogar selbst. In Zukunft werde ich wohl bei jeder gelieferten Übersetzung gleich nach Lieferung anhand eines Kapitels im späteren Teil des Buchs überprüfen müssen, ob DeepL genutzt wurde, damit ich über mein weiteres Vorgehen entscheiden kann, bevor ich drei Wochen in das Lektorat der ersten Buchhälfte investiert habe. Von meinen Nerven ganz zu schweigen.
Und deshalb nutzt man für Literaturübersetzungen kein DeepL! Und schon gar nicht, wenn man von einer Kollegin beauftragt wurde, die sich in mehreren Blogposts darüber ausgelassen hat, warum man das auf gar keinen Fall machen sollte.
Sally Massmann meint
Hier stimmt *jedes* Wort. Ich lehne jedes Lektorat ab, dass offensichtlich von einem MT-Tool „übelsetzt“ wurde. Meistens ist es schneller, den Text selbst neuzuübersetzen.
Tala Alsted meint
Wow, vielen Dank für die Liste! Ich hab deinen Blogpost über Twitter gefunden! Ich finde es sehr spannend, was da alles schon geht und gemacht wird und wenn ich so an die Überarbeitung meiner Bücher denke, dann glaube ich dir gerne, dass es viel mehr Arbeit macht, solche Merkwürdigkeiten nachträglich aus einem Text zu filtern als wieder neu zu übersetzen! Alleine solche banalen Dinge, wie Kursivschreibung wiederzufinden ist meganervig.
Kannst du den Text dann nicht einfach reklamieren?
W K meint
Wie wäre es, den entsprechenden Zieltext, der unter DeepL-Verdacht steht, wiederholt rückübersetzten?
Ich meine, z. B. ein übersetzter Text von Deutsch ins Englische, nun von Englisch ins Deutsche zu (rück-)übersetzen.
Und danach beide deutschen Texte vergleichen. Eventuell käme dabei ein großer Misthaufen heraus! Oder nicht?
Mit freundlichen Grüßen
W K
Miriam Neidhardt meint
So funktioniert DeepL nicht 🙁 Erstens wurde die Übersetzung ja notdürftig bearbeitet und zweitens ist DeepL dynamisch. Die Übersetzung eines Textes, die DeepL heute ausspuckt, ist nicht zwangsläufig exakt diesselbe wie vor drei Monaten. Man kann nur mit frappanten Ähnlichkeiten arbeiten.
André meint
Wobei grade an dem Übersetzer-Standardtest DeepL und Co scheitern…. also einen Satz mit Nebensatz 10x hin- und herübersetzen, so dass am Ende der Sinn gewahrt bleibt. Spätestens bei Durchgang 4-5 kommt da nur noch Blödsinn raus.
Bianca Blüchel meint
Die Lüge des Jahrhunderts
Die Behauptung, dass Maschinen übersetzen können, ist FALSCH.
Kinder würden Lüge sagen.
Maschinen sind dumm wie Bohnenstroh. Sie verstehen nicht. Sie rechnen. Alles reine Mathematik.
Die neuronale maschinelle Übersetzung (NMÜ) basiert – wie ChatGPT – auf statistischen Sprachmodellen.
Die Grundeinheit ist der Satz. Die Maschine berechnet die wahrscheinlichste Wortfolge.
SIE RÄT. Sie hat keinen blassen Schimmer davon, was davor kam oder danach kommt.
Das alles spielt sich auf der Textebene (= syntaktischen Ebene) ab – wie die Autocomplete-Funktion eines Smartphones.
Wir übersetzen ins Englische: Hausarbeit (Kontext: Hochschule / Universität).
Eine valide Übersetzung wäre „term paper“.
Was macht TextShuttle daraus: Textshuttle
https://textshuttle.com/en/
I’m totally overwhelmed with my housework.
„Housework“ ist falsch.
Die Sprache ist wie eine schwäbische Hausfrau: Sie spart, wo es nur geht.
Google & Co. sind im Prinzip tickende Zeitbomben.
Die Öffentlichkeit muss über die Möglichkeiten und Grenzen aufgeklärt werden.
Eine andere Gedanke, den neulich eine spanische Kollegin geäußert hat.
Es ging um die Verwendung von Google & Co. für die private Korrespondenz.
Einem schwerkranken Menschen wird sinngemäß mitgeteilt:
„Es ist wirklich super, dass du noch lebst.“
Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl.
Feld-Wald-und-Wiesen-Übersetzungsysteme eignen sich besonders gut für die sogenannte Informationserschließung. Wir nennen das auch Gisting-Übersetzungen.
Ein Kollege wurde mit der Neuübersetzung von Handbüchern zu
Knochendichtemessungsgeräten beauftragt.
Auf Nachfrage wurde ihm von seiner Agentur mitgeteilt,
dass die ursprüngliche Übersetzung dazu geführt hatte, dass Patienten aufgrund einer falschen Notation des Tausendertrennzeichens und des Dezimalzeichens
=> der tausendfachen Strahlung ausgesetzt worden waren!
Das hatte natürlich ein juristisches Nachspiel in Millionenhöhe.
Die physischen und psychischen Schäden werden ein Leben lang bleiben.
Was können die Maschinen dann?
Sie können einiges leisten, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Für KI-gestützte Übersetzungen eignen sich nur wenige Textsorten, die man an den zehn Fingern abzählen kann.
Die am besten geeignete Textsorte sind die sogenannten „instruktiven Texte“. Das sind Software-Manuals, Betriebsanleitungen, Service-Handbücher etc.
2. +++ Die Maschinen müssen zuerst „gefüttert“ werden, sonst „spucken“ sie nichts aus. +++
Das nennen wir in der Translationswissenschaft „NMÜ-Paradoxon“.
3. Womit? Mit kundenspezifischen Fachübersetzungen. Wir reden hier von Millionen (!) von Wörtern.
4. Dann müssen sie trainiert werden. Das Training kann Tage (!) dauern.
5. Danach müssen die Vorübersetzungen nachbearbeitet werden (Postedition).
https://video.uni-mainz.de/Panopto/Pages/Viewer.aspx?id=73533a13-3bab-4e97-9f6b-aedd00df7e8f
Vielen Dank an Michael Schneider von der Firma beo.
André meint
Zudem füttern sich diese Teile grade via Internet gegenseitig, was zu immer mehr Müll führt.
Bianca Blüchel meint
Dieser Seminarbericht Katrin Marheinecke unserer Kollegin Ulrike Walter-Lipow wird in die Geschichte der Translationswissenschaft eingehen.
Die von der ATICOM Fachverband der Berufsübersetzer und Berufsdolmetscher organisierte Veranstaltung fand im Herbst 2017 statt.
„Zu schön, um wahr zu sein.“
https://aticom.de/berufspraxis/maschinelle-uebersetzung-und-post-editing/
Die wichtigste Passage (Zitat):
Katrin Marheinecke räumte zunächst mit der Vorstellung auf, dass das Ziel des Post-Editings einer maschinellen Übersetzung darin besteht, einen der menschlichen Übersetzung gleichwertigen Text zu produzieren. „Das ist mit vertretbarem Aufwand nicht leistbar und steht dem eigentlichen Zweck entgegen.
(Zitat Ende)
NMÜ (neuronale maschinelle Übersetzung) bedeutet:
1) Automatisierung repetitiver Texte (enorme Textmengen sind im Spiel)
2) Ganz wichtig: Bevor die „Vorübersetzung“ generiert werden kann,
MUSS das MÜ-System (Engine) mit kundenspezifischen Daten (TMs) gefüttert werden.
Siehe Tagungsband ADÜ Nord, S. 23
https://adue-nord.de/produkt/konferenzband-der-6-adue-nord-tage-2/
Das Tagungsbändchen ist die einzige Publikation, die den Status quo abbildet!
Felix Mayer
Tom Imhof
Uta Seewald-Heeg
—-
Mein LinkedIn-Profil ist fast fertig.
Google Translate startete im Jahr 2016. Ein Industriekunde hat es ohne mein Wissen eingesetzt. Das hätte mich fast meine Existenz gekostet.
D., der Hochstapler aus Kölle, kam dann im August 2017.
Ganze neu im Angebot:
„Übersetzen Sie komplexe Rechtsterminologie, Verträge und sonstige Dokumente mit nur einem Klick“
https://www.deepl.com/de/deepl-for-legal-teams/
Noch Fragen?
Peter meint
Hallo
Ich arbeite in der Informatik und habe in Sprachen keinen Hintergrund.
Mich beschäftigt die Frage, ob es eine verbindliche Schreibweise für Englisch gibt.
Englische Muttersprachler hat es ja auf mehreren Kontinenten.
Und innerhalb der Kontinente wird es auch noch Untergruppen geben.
Wie geht ein Profi wie Sie mit diesem Sachverhalt um?
Danke im Voraus, wenn Sie sich Zeit für eine Antwort nehmen.
Beste Grüsse
André meint
Die gibt es natürlich, allerdings natürlich entsprechend regional unterschiedlich. AE und BE sind hier die beiden großen Platzhirsche. Australien, etc. sind dann die kleineren Varianten.
Monika meint
Diese regionalen Unterschiede gibt es nicht nur bei den verschiedenen Varietäten des Englischen, sondern auch im Deutschen, im Französischen, Spanischen, etc. Die schweizerische Standard/Schriftsprache kennt z.B. kein scharfes s (wir schreiben „grüssen“, „ausser“). Aber es gibt nicht nur Unterschiede in der Rechtschreibung und im Vokabular (z.B. „grillieren“ statt „grillen“ und „parkieren“ statt „parken“ als typische Helvetismen), sondern zum Teil auch bei den Textsorten-Konventionen. Während in Deutschland in Briefen nach der Anrede ein Komma gehört und klein weiter, so wird in der Schweiz kein Komma gesetzt, dafür folgt aber auf die Anrede Grossschreibung.
Als Übersetzerin muss ich mir dieser regionalen Unterschiede bewusst sein und auch der unterschiedlichen Textsortenkonventionen inter- und intrasprachlich, so dass ich den Zieltext auf das gewünschte Publikum abstimmen kann. Natürlich kennt man auch als Übersetzerin nicht für jede Textsorte die Konventionen, aber zumindest wissen wir, dass wir diese gegebenenfalls recherchieren müssen.
Die Rechtschreibung ist tatsächlich die geringste der Herausforderungen, denn diese lässt sich ja bei einem Textverarbeitungsprogramm vorgängig einstellen (darf man nur nicht vergessen).