Einst lektorierte ich eine Romanübersetzung, bei der ich so vorging wie immer: Ich lese ausschließlich die Übersetzung und schaue nur ins Original, wenn ich über etwas stolpere. Das mache ich, um den gleichen Eindruck zu bekommen wie der spätere Leser, der das Original ja in der Regel auch nicht kennen wird.
Wie auch immer: Ich habe also die ersten zehn bis fünfzehn Seiten der deutschen Übersetzung des Romans gelesen und den armen Übersetzer furchtbar bedauert, dass er so einen zusammenhanglosen Unsinn übersetzen musste. Das Ganze las sich schleppend, peplos, langweilig. Und da ich den Übersetzer höchstselbst ausgesucht hatte und ihm voll und ganz vertraute, bin ich davon ausgegangen, dass er den Stil des Originals übernommen hat, wie es sich für einen professionellen Übersetzer gehört.
Erst nach diesen rund fünfzehn Seiten saß ich im Wartezimmer und dachte mir, lese ich mal ins Original rein. Und dabei bin ich aus allen Wolken gefallen. Denn dieses englische Original las sich witzig, spritzig, humorvoll, flüssig. Der Übersetzer hatte also richtig bescheidene Arbeit geleistet. Was mich wiederum richtig viel Arbeit gekostet hat. Fehler in der Übersetzung sind nicht schlimm, die sind schnell rausgeholt, aber wenn der Stil von Anfang bis Ende, von vorne bis hinten nicht passt, sind die Fäkalien am Dampfen.
Stil erkennen
Der Job eines guten Übersetzers ist es, den Stil des Originals wiederzugeben. Dafür schlüpfen wir wie Schauspieler in die Rolle des Autors und schreiben so in unserer Sprache, wie er es selbst getan hätte, wenn er denn unsere Sprache beherrschen würde. Am einfachsten geht das, wenn man ein Genre übersetzt, das man selbst gerne liest. Ich zum Beispiel habe mal versucht, einen Fantasy-Roman zu übersetzen, und bin kläglich gescheitert: Den Stil habe ich schlicht nicht drauf. Andere können super historische Romane übersetzen, bringen bei einem Kriminalroman aber nur unpassende gestelzte Formulierungen aufs Blatt.
Das Genre ist also die erste Maßnahme zum Erkennen des Stils.
Doch jede Autorin hat auch einen eigenen Stil, den es so gut wie möglich zu übernehmen gilt. Arbeitet sie gerne mit Metaphern? Mit Alliterationen? Mit Andeutungen auf irgendwelche Filme, Bücher, Lieder? Mit Reimen? Erfindet sie gerne eigene Wörter? All das muss erhalten bleiben. Bei Alliterationen nicht unbedingt an derselben Stelle, wenn das in der Übersetzung nicht passt, aber dann halt an anderen Stellen, wo es passt. So habe ich gerade einen Roman übersetzt, bei dem ich eine ganze Menge mit Alliterationen und Reimen um mich geworfen habe, was einen Heidenspaß gemacht hat.
Es gibt jedoch auch Sachen, die typisch Englisch und kein persönlicher Stil der Autorin sind. Diese werden von nicht so professionellen Übersetzern gern als Stil missgedeutet, sind aber keiner:
Nicht-Stil erkennen
- 5 Sätze hintereinander, die mit She, He, I beginnen. Im Englischen ist das kein Stilbruch, im Deutschen schon. Das ist keine persönliche Eigenart einer englischsprachigen Autorin, sondern im Englischen normal! Im Deutschen formuliert man in der Regel eleganter und fängt jeden Satz anders an.
- He said, she said … im Englischen kein Stilbruch, im Deutschen variiert man ETWAS. Fragte sie, meinte er, behaupteten sie, antwortete er, erwiderte sie … Nicht übertreiben, sonst wird es verkrampft.
- Semikolons. Werden im Englischen echt gern verwendet. Im Deutschen eher seltener, wobei ich mich jedes Mal ärgere, wenn eine Lektorin ausnahmslos jedes Semikolon im Text streicht. Ein paar sind durchaus erlaubt, aber halt nicht überall dort, wo im Englischen eines steht.
- Ausrufezeichen. Werden im Deutschen echt gern verwendet. Im Englischen eher seltener. Insofern ist es völlig in Ordnung und angebracht, bei der deutschen Übersetzung eine Handvoll davon zu verteilen. Oder auch zwei.
- Question tags. It’s nice here, isn’t it? Typisch englisch/britisch. Schön hier, oder? Manchmal passt das. Ab einer gewissen Menge sind diese Question tags aber unbedingt wegzulassen.
- Why don’t you go and grap some coffee? Diese „Why-don’t-you-Fragen sind in der Regel keine Fragen, sondern eine Aufforderung, die entsprechend übersetzt wird: Hol dir doch mal einen Kaffee.
- I will come and get you. Das Futur findet im Deutschen eher selten Anwendung. Ich komme und hole dich ab. Fertig.
Sie ahnen es schon, worauf ich schon wieder hinauswill: DeepL, Chat GPT und wie sie alle heißen erkennen diesen Stil nicht. Diese Programme werden mit Übersetzungen gefüttert, die bereits vorliegen. Es handelt sich also um zusammengewürfelte Textteile von unterschiedlichen Personen – mit unterschiedlichen Stilen. So lässt sich der Stil eines Autors nicht adäquat übertragen. Die Sätze sind in sich meist korrekt, ja, aber stillos. Und jeder Roman lebt vom Stil der Autoren. Beachtet man den nicht, kommt so ein Unsinn heraus, wie eingangs erwähnter Übersetzer produziert hat und von dem kein Leser mehr als zehn Seiten lesen wird. Was, wenn man bei Kindle Unlimited teilnimmt und pro Seite bezahlt ist, echt ungünstig ist!
Eine professionelle Übersetzerin aus dem Englischen ins Deutsche, die den eigenen Stil der Autoren beachtet, finden Sie in mir – oder in einer meiner Kolleginnen unter www.yourbookingerman.com . Diesen Übersetzungsservice für Romane aus dem Englischen ins Deutsche habe ich letztes Jahr entnervt – unter anderem wegen eingangs erwähnten Übersetzers – geschlossen, nun jedoch mit einer sorgfältigeren Auswahl wieder eröffnet. Weil mir das Übersetzen für Selfpublisher einfach Spaß macht. Und das Lektorieren von guten Übersetzungen auch!
Inez García Hartwig meint
Liebe Frau Neidhardt,
schade, da machen Sie sich schon die Mühe, einen Essay über guten Stil zu verfassen, was ja grundsätzlich lobenswert ist. Mir als Leserin reicht es jedoch nicht, wenn Sie so allgemeine Dinge wie Satzanfänge oder sogar Zeichensetzung als Merkmale einer gelungenen oder eben nicht gelungenen Übersetzung heranziehen. Das erscheint mir doch eher kleinlich, zumal Sie selbst den „eigenen Stil“ doch eher anders definieren, z. B., wie oben erwähnt, über rhetorische Figuren, Reime etc. Mich hätte zum Beispiel an einer konkreten Textstelle interessiert, wieso die Übersetzung, die Sie hier eingangs erwähnen, „peplos“ sein soll. Wenn Sie schon so markige Behauptungen aufstellen, brauchen Sie auch Belege.
Mit freundlichen Grüßen
Inez Hartwig