Die Berufsbezeichnung „Übersetzer“ ist nicht geschützt. Jeder kann sich so nennen und jeder macht seine eigenen Preise. Da der Deutsche im Allgemeinen und der freiberufliche Übersetzer im Besonderen gerne ein Staatsgeheimnis aus seinem Verdienst macht, gibt es für alle, die keinen Zugriff auf den Honorarspiegel des BDÜ haben, kaum eine Möglichkeit, herauszufinden, was ein „marktüblicher Preis“ ist.
Nun gibt es diese verführerischen Portale, oft für Handwerker, z. B. My Hammer, Blauarbeit, Machdudas und wie sie alle heißen, es gibt jedoch auch Portale speziell für Übersetzer. Meist werden diese von Übersetzungsagenturen genutzt und diese kennen die „marktüblichen Preise“ – die jedoch in jedem Land unterschiedlich sind. In Indien sind 3 Cent pro Wort vermutlich ein marktüblicher Preis, eine Agentur aus Indien wird selten mehr als 3 Cent pro Wort zahlen können und Übersetzer aus Indien sind durchaus bereit, für 3 Cent pro Wort zu arbeiten.
In Deutschland, das dürfte jeden klar sein, liegt der marktübliche Preis deutlich höher als in Indien und genau deshalb rege ich mich so furchtbar darüber auf, was heute passiert ist: In eben diesem besagten und üblicherweise von Agenturen verwendeten Portal postete ein Direktkunde eine Ausschreibung. Nicht irgendein Direktkunde – das Unternehmen Glossybox war’s. Die Glossybox erfreut sich größter Beliebtheit und auch ich habe mir mal testweise eine zusenden lassen – es handelt sich um Geschenkboxen mit Kosmetikprodukten zum Abonnieren. Meine Tochter war begeistert. Aber das nur nebenbei; Glossybox hat also eine Ausschreibung zur Übersetzung der aus 6.000 Wörtern bestehenden FAQ aus dem Englischen ins Deutsche gepostet und hierfür ein Budget von 2,6 bis 3,3 Cent pro Wort angegeben. Im Durchschnitt also ganze 3 Cent pro Wort. Nun muss man nicht innerhalb dieser Preisspanne bieten; man kann jedoch durchaus davon ausgehen, dass ein Übersetzer gesucht wird, der für diesen Preis arbeitet. Eine kostenlose Probeübersetzung sollte natürlich auch angefertigt werden. Deadline ist interessanterweise der 1. April – Ostermontag, sagt mein Kalender. Weiß nicht, wie das in Indien ist, aber hierzulande ist das ein Feiertag.
Speziell für Glossybox deshalb folgende Rechnung:
Ein Übersetzer übersetzt rund 2.000 Wörter pro Tag. Das mag Ihnen wenig erscheinen, aber Sie müssen ja auch die Zeit für Recherche, Korrekturlesen, Rechnung schreiben usw. einkalkulieren. Der Übersetzer braucht für die 6.000 Wörter der FAQ somit drei Tage. 24 Stunden. Bei 3 Cent pro Wort und 6.000 Wörtern kommt er somit auf einen Stundenlohn von 7,50 Euro – wenn ich richtig unterrichtet bin, entspricht das ziemlich genau dem, was man bei McDoof an der Kasse verdient. Selbst wenn wir von 3.000 Wörter pro Tag und somit 2 Tagen Arbeit ausgehen, kommt unser Übersetzer kaum über 10 Euro pro Stunde – ich kenne keinen Studenten, der für dieses Geld arbeiten würde, von einem ausgebildeten sowie Steuern und Krankenkasse zahlenden Übersetzer ganz zu schweigen.
Und deshalb, liebe Glossybox: Pfui! Bei all den aktuellen Diskussionen über Mindestlöhne mit so einem Dumpingangebot zu kommen! Schämen sollten Sie sich.
Der „marktübliche Preis“ für Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche für Direktkunden aus Wirtschaft und Industrie liegt übrigens im 14–15 Cent pro Wort. Just for the record.
Susanne Schmidt-Wussow meint
Sagt das der BDÜ-Honorarspiegel? 14-15 Cent für Direktkunden? So viel zahlen ja schon manche Agenturen. Da würde ich doch noch ein bisschen was draufschlagen.
Miriam Neidhardt meint
Moin, Susanne,
ja, die Werte stammen aus der BDÜ-Honorarumfrage – beides sind die „häufigsten Werte“. 15 Cent entsprechen dem Mittelwert: Alle Werte zusammengezählt und durch die Anzahl der Werte geteilt.
14 Cent pro Wort sind der Median, definiert als Zentralwert, der „die nach Größe geordneten Werte in zwei gleich große Hälften (teilt). Die eine Hälfte der Werte liegt über, die andere unter dem Median.“ Soll heißen: Die Hälfte aller Übersetzer sollte mehr verlangen als diese 14 Cent pro Wort – die andere Hälfte allerdings weniger.
Und du würdest den „üblichen Marktwert“ oberhalb des „häufigsten Wertes“ verlagern, und somit in eine Höhe, die (mehr oder weniger weit) über die Hälfte unserer Kollegen nicht verlangt? Inwieweit wäre dieser Wert dann „üblicher“?
Gruß Miriam
Sebastian :0) meint
Üch zahle pro Wort ein Gummibärchen.. :oD l.
Miriam Neidhardt meint
Aber nur die ohne Gelatine, bitte 😉
Susanne Schmidt-Wussow meint
Nun ja, wenn man davon ausgeht, dass diejenigen BDÜ-KollegInnen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, „der Markt“ sind, dann ist das statistisch natürlich der mittlere Marktwert. Ich finde ihn erschreckend niedrig. Agenturen verlangen von ihren Endkunden sehr viel mehr, warum bleiben wir dann knapp über Agenturpreisniveau? Verstehe ich nicht. Ich gehöre jedenfalls eindeutig zur rechten Hälfte dieser Glockenkurve.
Miriam Neidhardt meint
Moin, Susanne,
naja, ich kann ja nicht irgendeinen Wert nehmen, den ich persönlich für angemessen halte, und diesen „üblichen Marktwert“ nennen. Und einen anderen repräsentativen Wert als diesen aus der Honorarumfrage des BDÜ gibt es meines Wissens nun mal nicht.
Eine Agentur verlangt mehr vom Kunden, weil in dem Preis das Korrektur lesen enthalten ist (zumindest bei den guten Agenturen; aber da die schlechten billig sind, sind diese hier gar nicht relevant). Wenn die Agentur 18 Cent vom Kunden verlangt, erhält der Übersetzer 10 Cent, der Korrekturleser 5 Cent und 3 Cent gehen fürs Marketing drauf (Zahlen sind aus der Luft gegriffen). Wenn ich vom Endkunden 18 Cent verlange, 5 Cent dem Korrekturleser abgebe und mich 2 Stunden die Woche um die Pflege meiner Website, Kaltakquise usw. kümmere (unbezahlte Arbeitszeit!), komme ich am Ende wieder bei 10 Cent pro Wort raus – insofern nimmt sich das gar nix.
Darüber schreibe ich demnächst mal was, diese ewige Milchmädchenrechnung geht mir nämlich schon lange auf den Zeiger …
Gruß Miriam
Susanne Schmidt-Wussow meint
Ja, mach das mal. Dazu liegt mir schon wieder ein Kommentar auf der Zunge, aber den setze ich dann lieber unter den richtigen Beitrag. 🙂
Raphael meint
„…kaum über 10 Euro pro Stunde — ich kenne keinen Studenten, der für dieses Geld arbeiten würde…“
Wo leben Sie ? Ich kenne keinen Studenten, der mehr als 10 EUR pro Stunde bekommt… 7 – 9 EUR sind völlig normal. LEIDER !
Und Hannover zählt auch nicht zum ganz armen Pflaster.
Abgesehen davon ist es leider eine traurige Tatsache, dass in so gut wie allen Branchen versucht wird so viel wie möglich aus den (Mit)arbeitern rauszuholen… Ich hoffe, dass sich diese Einstellung eines Tages wieder ändern wird…
Auf alle Fälle interessante und guter Beitrag !
Serdar Mermey meint
Hallo Kollegin Miriam,
interessanter Beitrag!
Was sagt denn der letzte Honorarspiegel 2012 des BDÜ dazu? Sind die Preise seitdem eher konstant oder fallend?
Der naechste Honorarspiegel wird im Juni/Juli 2015 erhoben werden!
Danke für die Antwort mit Gruss
Patricia Storz meint
Hallo, die Diskussion ist alt, das Thema nicht…ich bin grad ziemlich aufgeschmissen, denn ich melde mich bei lingoking, easytranslate und proz an. Ich habe einen Master in Sprachen und Wirtschaft abgelegt. Ich spreche 5 Sprachen. Im Sommer mache ich eine Prüfung zur Übersetzerin Deutsch-Französisch. Ich habe schon Übersetzungsseminare und ein paar Arbeitserfahrungen gemacht.
Bei der Anmeldung muss ich meinen Preis mit angeben und ich bin überfordert. Man findet von 6-60 ct pro Wort alles. Wohlgemerkt, dass ich kein Diplom habe, will ich nicht zu viel verlangen, aber ich wurde auch gewarnt, dass ich nicht zu wenig verlangen soll, weil man aus dem Dumpingbereich schwer rauskommt.
Kann mir jemand einen Richtwert nennen?
Vielen Dank schonmal….
Weimann meint
zunächst mal ist festzuhalten dass bei ProZ & Co. viel zu viel Konkurrenz ist und man auf Angebote in den seltensten Fällen eine Antwort kriegt ausser gelegentlich von Indern und Chinesen. Für jeden Job bewerben sich bei gängigen europäischen Sprachen wie Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch etwa 10-20 Übersetzer. Dies führt zu einem extrem niedrigen Preisniveau! Ausserdem gehen Aufträge für Französisch oft bei grôsseren Projekten in ehemalige Kolonien wie Algerien, Marokko, Tunesien. Bei einem Preis oberhalb von ca 4-5 cents pro Wort lassen sich somit bei verbreiteten europäischen Sprachen kaum noch Aufträge reinholen. Wie zuvor erwähnt sind etwa 3 cents/Wort in Indien normal, aber auch in China gibt es bei Agenturen kaum mehr als 5 cents von Dollar pro Wort (wir haben da noch das Problem mit fallendem Dollar) und selbst in Italien wird bei Agenturen selten mehr als 4-5 cents/Wort gezahlt und in Österreich ist der Markt ähnlich. Man kann als Freelancer zumindest als Neueinsteiger kaum überleben und selbst lang etablierte schaffen es nicht einmal mehr bei 40-50 Std. Woche das durchschnittliche Nettoeinkommen eines angestellten Übersetzers in Westeuropa zu erzielen! Es ist ein völliger Trugschluss wenn junge Menschen sich einbilden dass Übersetzer für gänge europäische Sprachen gefragt seien. Allenfalls asiatische Sprachen bringen noch eine akzpetable Rendite und selbst Russisch ist seit dem Zusammenbruch der UdSSR im freiem Fall.
Miriam Neidhardt meint
Moin, Weimann,
spezialisieren, spezialisieren, spezialisieren.
Und mein Buch kaufen und aus meinen Erfahrungen daraus lernen, Dann klappen Wortpreise im zweistelligen Centbereich problemlos und man muss sich auch nicht zu Tode arbeiten, um sich ein gutes Leben leisten zu können (wie auch immer das jeder für sich definiert).
Wenn das mit ProZ nicht funktioniert, wird es Zeit für einen anderen Ansatz. Eine Website, Netzwerken … Es gibt so viel mehr Möglichkeiten als ProZ, um an Aufträge zu kommen!
Auf jeden Fall ist es kompletter Blödsinn, dass die Preise im freien Fall wäre. Das ist nur bei Billig-Agenturen der Fall und bei Übersetzern, die nicht spezialisiert sind und sich nicht vermarkten können. Davon gibt es furchtbar viele und natürlich geht es da nur um Preise – anders unterscheiden sie sich ja nicht voneinander! Meinen Kunden sind die Preise in Indien oder wo auch immer vollkommen schnuppe.
Gruß
Miriam
Miriam Neidhardt meint
Moin, Patricia,
einen pauschalen Wortpreis wird dir niemand sagen können; der hängt von der Sprachkombination ab, vom Kunden (Agentur oder Direktkunde), vom Fachgebiet … und überhaupt ist ein Wortpreis wenig aussagekräftig; wichtig ist, was am Ende pro Stunde rauskommt.
Im Blog zum Buch ist das Kapitel zur Preisgestaltung zu lesen, das sollte dir weiterhelfen: https://www.xn--berleben-als-bersetzer-rlcn.de/2013/02/preisgestaltung/
Gruß
Miriam
Patricia Storz meint
Großartig, vielen Dank! Das hilft mir sehr.