Irgendwie bin ich bei Facebook in eine Gruppe – sorry, Community – gerutscht, in der Übersetzungsaufträge ausgeschrieben werden. Auf Professionalität wird dort offensichtlich keinen Wert gelegt, immer wieder wird betont, dass beide Sprachen gut beherrscht werden müssen – das war’s. Sprachkenntnisse als einziges Kriterium. Und dann wundern sich die Auftraggeber am Ende, dass die Übersetzung unbrauchbar ist.
Ein „Übersetzer“, dessen einzige Qualifikation darin besteht, neben seiner Muttersprache eine Fremdsprache zu beherrschen, mag ausreichen, wenn man nur wissen möchte, worum es in dem Text geht. Ehrlich gesagt reicht dafür in den meisten Fällen aber auch DeepL. Oder Google translate. Für Romanübersetzungen, und mit denen beschäftige ich mich in letzter Zeit fast ausschließlich, sind solche Laienübersetzungen völlig unbrauchbar.
Ein bisschen wie bei DSDS
Haben Sie mal „Deutschland sucht den Superstar“ gesehen? Immer wieder treten dort bei den Castings Leute auf, die völlig überzeugt von ihrem Gesangstalent sind – weil sie sich den Text merken können. Und so ähnlich ist es, wenn ein Laie denkt, er könne einen Roman übersetzen. Und total stolz ist, dass er jedes Wort verstanden und übersetzt hat. Und gar nicht merkt, dass sich das Ergebnis ganz, ganz furchtbar liest.
Jeder kann singen. Jeder kann übersetzen. Und so wie ein Profisänger völlig anders klingt als ein Hobbysänger und so wie der Profisänger das Singen gelernt hat, auch theoretisch, mit Atmung und Intonation und so, so ist es auch beim Übersetzer.
Die Fremdsprachenkenntnis ist natürlich eine Grundvoraussetzung für das Übersetzen – mehr aber auch nicht. So wie zwei Hände eine Grundvoraussetzung fürs Klavierspielen sind. Dennoch können das die Wenigsten.
Möglicherweise liegt das an der Schule. Dort wird im Englischunterricht durchaus übersetzt, und später denkt man, da war ich in der Schule immer gut drin, damit kann ich auch Geld verdienen. Allerdings hat das Übersetzen in der Schule überhaupt rein gar nichts mit professionellem Übersetzen zu tun. Eine Übersetzungsübung im Schulunterricht ist im Grunde ein reines Vokabelabfragen in Textform. Da ist keine Kreativität gefragt. Kein guter Stil. Man muss einfach nur belegen, dass man die Wörter kennt – fertig. Und das alles ohne Wörterbuch!
Und eine Romanübersetzung ist anders. Es fängt damit an, dass man mit Wörterbuch arbeiten darf. Und sollte. Und muss. Und nicht nur mit Wörterbuch, sondern mit allen Quellen, die einem weiterhelfen können, wenn man einen Begriff oder eine Redewendung nicht kennt. So habe ich unlängst eine Romanübersetzung lektoriert, bei der der Übersetzer offensichtlich recht stolz war, kein Nachschlagewerk gebraucht zu haben. Wenn er etwas nicht verstanden hat, hat er es einfach wortwörtlich übersetzt. Wird schon passen. Spoiler: Es passte nicht.
Neben der Recherche wird oftmals der Stil übersehen. Die „Erzählerstimme“ folgt einer anderen Grammatik als die direkte Rede! Und ein Kind redet anders als ein Professor in Rente! Und das muss die Übersetzung auch widerspiegeln.
Erzählerstimme: Uwe traf Fritz und erzählte ihm, Anna habe gesagt, sie gehe jetzt nach Hause.
Direkte Rede: „Uwe hat Fritz getroffen, und der hat ihm erzählt, dass Anna gesagt hat, dass sie jetzt nach Hause geht.“
Logisch, oder? Kein Mensch würde im echten Leben so reden wie die Erzählerstimme. Und niemand würde ein Buch lesen wollen, dass von Anfang bis Ende so formuliert ist wie die direkte Rede. Und dennoch übersetzen es Amateure immer wieder falsch. Weil da „she said“ steht, und das klingt mehr wie „sie sagte“ als wie „sie hat gesagt“. Völlig beknackt.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass Deutsche ihre Englischkenntnisse oftmals deutlich überschätzen. Es reicht bei einer Romanübersetzung nicht, zu verstehen, „was da steht“. Die Übersetzerin muss auch Stilunterschiede erkennen, Andeutungen, Konnotationen, Redewendungen … Das sind alles Sachen, die man in der Schule nicht lernt.
Und nicht zuletzt überschätzen Amateure nicht nur ihre Fremdsprachenkenntnisse, sondern auch ihre muttersprachlichen Fähigkeiten. Die reichen natürlich aus, um sich verständlich zu machen – aber zu schreiben ist ein völlig anderes Kaliber. Dafür braucht man auch theoretisches Wissen: Wann man welche Zeitform einsetzt, wie der Satzbau im Deutschen korrekt aussieht, warum es im Englischen kein Stilbruch ist, drei Sätze hintereinander mit „she“ zu beginnen, im Deutschen jedoch schon (also, mit „Sie“). Ich sehe Sie als Leser förmlich vor mir, wie Sie entrüstet behaupten, Sie können das sehr wohl! Ja, das dachte ich auch mal. Das dachten auch die anfangenden Kolleginnen und Kollegen, deren Romanübersetzungen ich in letzter Zeit lektoriert habe. Und keiner von denen konnte das. Wenn auch manche noch weniger als andere.
Die Übersetzung von Romanen ist eine allgemein völlig unterschätzte Kunst. Und genau das ist es: eine Kunst. Und so wie jeder malen kann, aber kaum jemand es schafft, seine Gemälde auch zu verkaufen, so wie jeder singen kann, aber kaum jemand es schafft, von seinem Gesang zu leben, so ist es auch mit dem Übersetzen. Klar kann das jeder. Als Hobby. Aber als Beruf braucht man deutlich mehr als die Fähigkeit, sich in zwei Sprachen unterhalten zu können.
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