Ab einer gewissen Länge ist kein Text fehlerfrei. Ärgerlich, aber ist so. Wobei sich Rezensenten gerne an „Übersetzungs-, Grammatik- und Rechtschreibfehlern“ hochziehen, womit meist Tippfehler gemeint sind. Das kommt leider davon, wenn man sich nach dem Lektorat das Korrektorat spart.
Aber ich meine in diesem Fall Fehler im Originaltext, und zwar inhaltliche Fehler. Ich habe noch nicht einen einzigen Roman übersetzt, der frei von inhaltlichen Fehlern war. Aber wie geht man als Übersetzerin damit um?
Welche Freiheiten habe ich als Übersetzern, Fehler zu korrigieren?
Kleine Fehler:
Beispiele:
- Mexiko befindet sich angeblich in Südamerika.
- Die Gefängniswärterin Donna heißt zwei Seiten später Kate.
- Die komplette Szene spielt im Wohnzimmer, die Protagonistin sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa, die Schwiegermutter verlässt das Wohnzimmer, es klingelt an der Haustür und die Protagonistin schlägt die Bettdecke zurück und springt aus dem Bett.
- Der Protagonist hat keinen Koffer und packt deshalb für den Urlaub alles in zwei Einkaufstüten, um zwei Seiten später seinen Koffer in das Auto zu werfen.
- Die Protagonistin setzt Kaffee auf und trinkt dann Tee.
All solche Kleinigkeiten korrigiere ich in der Übersetzung stillschweigend. Mexiko kommt zurück nach Mittelamerika, Donna heißt wieder Donna, die Protagonistin steht vom Sofa auf, der Protagonist wirft die beiden gepackten Einkaufstüten in den Kofferraum, und die Protagonistin trinkt Kaffee.
Größere Fehler:
In einer Buchreihe war der Protagonist, ein Berufskiller, dafür bekannt, immer Schwarz zu tragen. Schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, schwarzes Hemd. Immer. Und in einer Szene wird eine Geliebte angeschossen, er schleppt sie ins Auto und fährt sie ins Krankenhaus und stellt dort fest, dass sein weißes T-Shirt voller Blut ist. Diesen Fehler zu korrigieren, hätte einen zu großen Eingriff bedeutet. Ich hätte ja die ganze Szene streichen müssen, in der er das Blut entdeckt. Die jedoch sein Leiden verdeutlichen sollte. Und auf einem schwarzen T-Shirt wäre da Blut nicht so eindrucksvoll zu sehen gewesen. Weiß der Teufel, wieso sein T-Shirt plötzlich weiß war, aber das ist nun auch in der Übersetzung so.
Der Mutter fällt auf, dass der Vater des eigentlich Verdächtigen exakt die Beschreibung erfüllt, die ihr Sohn als Zeuge geliefert hatte: groß und mit braunem Haar. Dummerweise kam diese Beschreibung bei der Zeugenaussage nie vor. Und sie einzubauen, hätte ich die Szene um mehrere Zeilen Dialog ergänzen müssen, was mir, wie ich fand, nicht zusteht. Uns so berufe ich mich darauf, dass der Sohn das vielleicht gesagt, die Autorin das aber nicht aufgeschrieben hat.
Wenn ich mit den Autoren direkt zusammenarbeite, spreche ich solche Stellen an und frage nach, ob die Autoren sie vielleicht selbst korrigieren möchten, damit ich die Korrektur in der Übersetzung übernehmen kann. Bei Verlagen funktioniert das eher nicht, dann bleibt das halt so.
Kleine Fehler zu korrigieren, gehört zu meinen Freiheiten als Übersetzerin. Ich möchte ja eine deutsche Version des Romans kreieren, die für den deutschen Leser logisch ist. Das nennt sich MITDENKEN. Etwas, was eine KI übrigens nicht kann.
Wo hören die Freiheiten beim Übersetzen auf?
Es gibt auch Übersetzer, die nehmen sich ein bisschen zu viele Freiheiten heraus:
- Einmal habe ich ein ins Deutsche übersetzte Buch lektoriert, dass sich wirklich gut las. Die Story war auch dieselbe wie im Original. Und die Übersetzung hatte auch einen echt schönen Stil. Nur leider nicht den der Originalautorin. Ein bisschen Wiedererkennungswert sollte schon da sein. Kreativität ist beim Übersetzungsprozess wichtig, aber ein bisschen übertreiben kann man es schon. Die Devise lautet immer: So nah am Text wie möglich, so frei wie nötig.
- Ein andermal wurde ein Kinderbuch, das im Original im Präsens geschrieben wurde, bei der Übersetzung ins Imperfekt gesetzt – weil die Übersetzerin das „üblicher“ fand. Dummerweise ohne vorherige Rücksprache, sodass das komplette Buch geändert werden musste, denn die Nutzung des Präsens in einem Buch mag nicht „üblich“ sein, war in diesem Fall jedoch ein gewolltes Stilmittel der Autorin und musste als solches natürlich erhalten bleiben.
- Ein weiteres Problem ist auch oft die Lokalisierung. „Schöne neue Welt“ ist ein – glücklicherweise seltenes – Beispiel für die komplette Lokalisierung eines Romans. Das englische Original spielt in den USA, die deutsche Übersetzung in Berlin und Norddeutschland. Die Übersetzung ist fast 100 Jahre alt, insofern ist das wohl okay, heute würde man das eher nicht mehr machen. Und schon gar nicht ohne vorherige Absprache! Ich habe mal eine Romanreihe ins Englische übersetzen lassen, die an der Ostsee spielt, und der Übersetzer hat die Handlung stillschweigend in die USA verlegt. Super lokalisiert, das muss man ihm lassen; die Protagonistin war 18, hat im Original Wein aus dem Kühlschrank geholt, und der Übersetzer hat einen Satz eingefügt, dass der natürlich nur für die über 21-jährigen Gäste ist. Bei entsprechender Beauftragung wäre die Übersetzung super gewesen, so jedoch musste alles wieder geändert und nach Deutschland zurückverlegt werden.
In diesen drei Fällen wurden die Freiheiten des Übersetzers deutlich überschritten. Immerhin: Das passiert mit KI nicht!
Niemand liest einen Text so intensiv wie ein Übersetzer. Uns fallen Fehler auf, die Lektoren und Lesern entgangen sind. Und natürlich korrigieren wir diese. Das ist unser Job, und das kommt auch den Autoren zugute.
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