Es begann schleichend, doch irgendwann war es nicht mehr zu ignorieren: Die Home-Taste meines geliebten iPhones reagierte nicht mehr immer, und da sich das eine Jahr Garantie, das Apple bietet, dem Ende zu neigt, führte kein Weg dran vorbei: Mein Smartphone musste zur Reparatur.
Das Prozedere ist bei Apple überraschend einfach: Dass ich die Rechnung nicht finden konnte, war gar kein Problem (und das nicht nur, weil mir der Internetversand umgehend eine neue zusendete), denn man gibt einfach die Seriennummer auf der Support-Seite ein, und schon weiß Apple Bescheid, wie lange die Garantie noch läuft. Dann wählt man aus einer Reihe von Problemen aus, beschreibt das individuelle Anliegen und veranlasst die Abholung durch UPS – alles bequem online. In der Auftragsbestätigung per E-Mail wird beschrieben, wie man das iPhone auf den Versand vorbereitet (nicht verpacken!), nämlich ein Back-up durchführt und die SIM-Karte entfernt (gar nicht so einfach!), und schon am nächsten Tag war es mittags dann so weit: Der UPS-Mann holte mein „Handy“, wie er es banal nannte, ab. Und hatte überhaupt kein Verständnis dafür, wie schwer mir der Abschied fiel. Ich solle meine SIM-Karte doch einfach in ein anderes „Handy“ einlegen. Als ob es um die SIM-Karte ginge! Die eine Mikrokarte ist und somit sowieso nicht in ein anderes „Handy“ passt. Banause.
Tag 1: Um weiterhin erreichbar zu sein, lieh ich mir das (weitaus billigere) Smartphone meines Sohnes – so kann ich zwar weiterhin E-Mails empfangen, ohne dass der PC ständig laufen muss; das war’s aber auch schon. Twittern? Fehlanzeige. Gucken, wer was auf Facebook gepostet hat? Ginge theoretisch, aber mit diesem Smartphone ins Internet zu gehen ist so umständlich, dass ich es lieber lasse. Ohne Apps macht mobiles Internet sowieso keinen Spaß! Aber es geht. Ein wenig freue ich mich sogar auf die Tage ohne iPhone – auf jeden Fall müsste ich jede Menge mehr Zeit haben! Vielleicht lese ich ja jetzt eher in meinem Kindle als auf sozialen Netzwerkseiten? Sinnvoller wäre das allemal!
Meine Twittergemeinschaft tröstet mich mehr oder weniger mitfühlend; je nachdem, ob derjenige selber ein iPhone-Süchtiger ist oder nicht. Eine Anfrage nach einer beglaubigten Übersetzung aus Oldenburg trudelt ein – bei der Überlegung, ob ich den fertigen Auftrag lieber zur Post oder lieber persönlich beim Kunden vorbei bringe, will ich nach dem iPhone greifen, um in der entsprechenden App nachzusehen, wo sich die Straße befindet – und fasse ins Leere. Also geht der Brief in die Post. Das Laptop ist dann doch fast durchgehend an – so ganz ohne Twitter und Facebook geht es nicht, und auch wenn der Empfang von E-Mails mit dem Ersatz-Smartphone funktioniert, ist die Beantwortung doch sehr umständlich. Habe im Autoradio ein Lied gehört, von dem ich gerne wüsste, wie es heißt, aber ohne Shazam werde ich das wohl nie erfahren. Einkaufen gewesen – ohne iPhone und damit auch ohne Einkaufsliste bei Evernote. Die Hälfte vergessen. Werde mir morgen die zweite Hälfte am PC ausdrucken müssen und einen zweiten Versuch wagen.
20.15 Uhr: Wüsste gerne, was im Fernsehen läuft; leider greift meine Hand wieder ins Leere – mein iPhone ist weg und damit auch die App mit dem Fernsehprogramm. Fernsehzeitschrift habe ich keine, wozu auch? Mein iPhone hat doch eigentlich alles, was ich brauche! Wobei sich mir die Frage stellt: Wer weckt mich eigentlich morgen früh?
Tag 2: 6:00Uhr: Merkwürdige Klänge holen mich aus dem Tiefschlaf: Nicht wie gewohnt das in der Docking Station steckende iPhone ertönt mit meiner Lieblingsmusik, sondern die nackte Docking Station mit Meeresrauschen – bis ich kapiert habe, dass das Geräusch nicht von einem rücksichtslosen Nachbarn durchs offene Fenster kommt, sondern meinen Weckruf darstellen soll! Griff zum Smartphone. Würde gerne gucken, wie viele bisher diesen Artikel in meinem Blog gelesen haben – aber ohne App muss das warten, bis der PC läuft. Selbiges gilt dafür, was über Nacht bei Twitter und Facebook passiert ist. Von wegen Zeitersparnis: Normalerweise lese ich so was beim Frühstück, nun wird die Lektüre von der Arbeitszeit abgehen müssen.
6:50 Uhr: Zeitung reingeholt. Kalt draußen. Würde gerne wissen, wie kalt, aber ohne Wetter-App … Ob bei der Kälte in den nächsten Tagen Schnee erwartet wird? Keine Ahnung, meine Wetter-App ist ja weg! Also schiebe ich die letzte Scheibe Brot in den Toaster, will nach meinem iPhone greifen, um die Einkaufsliste zu ergänzen – wieder ein Griff ins Leere. Im Radio wird für die App des Senders geworben, in der Zeitung für eine Kohlfahrt-App … still in mich hinein schluchzend lese ich die Zeitung. Mit den Nachrichten von gestern, die ich verpasst habe, weil mir die Twitter-App fehlt.
9:00 Uhr: Brenne mir eine CD mit meiner Lieblingsmusik. Hab ich ewig nicht mehr gemacht, aber Musik vom iPhone über Autoradio hören ist ja gerade nicht.
11.30 Uhr: E-Mail erhalten: Mein iPhone ist im Apple-Reparaturzentrum eingetroffen. Den Vormittag über habe ich es kaum vermisst; da sitze ich sowieso am PC.
12.30 Uhr: Der Reparaturstatus lässt sich online verfolgen. Laut Apple ist der Service abgeschlossen und der Produktersatz steht an – was auch immer das bedeuten mag. Es tut sich was. Entzugserscheinungen werden durch Vorfreude auf die Rückkehr meines iPhones abgelöst.
14.30 Uhr: Reparaturstatus unverändert. Vorfreude weicht wieder verzweifeltem Vermissen. ICH WILL MEIN IPHONE WIEDERHABEN!!! Bei der Autofahrt die frisch und extra für die Autofahrt gebrannte CD vergessen. Ohne iPhone ist alles doof.
15.30 Uhr: Muss, um ein Foto zu versenden, die digitale Kamera suchen gehen, Batterien wechseln, Foto machen, PC anschmeißen, Kabel suchen, Foto auf PC laden und per E-Mail versenden, anstatt es wie sonst einfach mit dem iPhone zu schießen und über den Messenger zu schicken. Irgendwie habe ich kein Stück Zeit gewonnen, seit ich kein iPhone mehr habe – ganz im Gegenteil.
19.30 Uhr: Lese inzwischen richtiges Buch aus Papier – der Kindle erinnert mich zu sehr an mein geliebtes iPhone. Zwischendrin schicke ich Stoßgebete gen Himmel, dass die mein iPhone morgen auf die Reise schicken – dann hab ich’s vielleicht Freitag schon wieder! Aber immerhin: Meinem rechten Daumen geht es besser 🙂
21:30 Uhr: Olles Ersatz-Smartphone verweigert den Empfang von E-Mails; kann keine Verbindung aufbauen. Übrigens exakt der Grund, weshalb ich es letztes Jahr gegen das iPhone eingetauscht habe – mit dem ist das nie passiert. Vermutlich verpasse ich heute Nacht die tollsten Aufträge aus USA, nur weil mich die E-Mails erst morgen erreichen. Und dann geh ich pleite und kann mir den Unterhalt für das iPhone nicht mehr leisten. Reparaturstatus nach wie vor unverändert. Vielleicht will es gar nicht zu mir zurück? Ich geh jetzt schlafen, nur, um nicht mehr daran denken zu müssen.
3. Tag: 5:00 Uhr: Das Ersatz-Smartphone meldet viel zu laut, dass es nun noch wieder E-Mails empfängt. Acht neue Spamkommentare, juhuu! Mit dem iPhone wäre das nicht passiert, das hätte mich schlafen lassen, erstens, weil es in der Docking Station keinen Laut tut, und zweitens, weil ich damit diese E-Mail-Funktion bei neuen Kommentaren ausschalten kann – denn ob ich einen neuen Kommentar erhalten habe, kann ich ja in der App nachsehen!
6:45 Uhr: Frühstück. Keine einzige Scheibe Brot mehr da. Ach ja, da war ja was mit der Einkaufsliste …
9:33 Uhr: Es klingelt. Der UPS-Mann! Bringt mir mein iPhone wieder!!! Oder vielmehr ein iPhone; ein nigelnagelneues nämlich. So schnell ging das! „Wundert mich ja, dass Sie noch leben“, sagt er ganz trocken. Wenn der wüsste, wie hart die letzten beiden Tage waren!
10:00 Uhr: Das war ja einfach. Neu konfiguriert, vom Back-up wiederhergestellt, warten, bis endlich alle Apps wieder geladen sind, Kennwörter neu eingeben und schon ist alles wieder wie vorher. Aufatmen. Ich hab’s geschafft! Werde nachher erstmal einkaufen gehen. Mit Einkaufsliste!
– The End –
frenja meint
Na toll. Jetzt will ich auch ’n iPhone. :-/
Miriam Neidhardt meint
Hihi. Aber Vorsicht, macht süchtig!
Obwohl: Ich nenne es ja Liebe.
Svente meint
Meins wir heute abgeholt. Ich überlege schon ob es nicht besser wäre danach schlafen zu gehen bis der UPS Mann das nächste Mal klingelt.
Gordana meint
…ich kann das nachempfinden… mache ich zur Zeit durch. Dass es so übel ist, hätte ich nicht gedacht. Zumindest steht im Status „6. September 2014 : Produktersatz steht an“.
steffen meint
ich habe das ganz ja mit witz gelesen, aber wenn ich daran denke, dass du ja ein eigenständiger mensch sein solltest, werd ich traurig. organisiere dir ein real live und mache dich nicht abhängig von einem smartphone. damit es nicht heißt, ich schimpfe nur auf das iphone noch kurz angemerkt das ich auf den artikel stieß, da ich gerade herausfinden wollte wie lange denn mein reparaturstatus von „rückgabe“ noch dauert. immerhin ist das schon seit letzter woche so…
und hier noch ein paar tipps für deine genannten probleme:
1. bekämpfe deine onlinesucht von facebook und twitter. ist nur was für leute die kein befriedigendes reallive haben sofern sie alle 5min nachschauen müssen, wer was getan hat. beginne selber mal damit etwas zu tun, das du DANN posten kannst, wenn du es getan hast. dein sohn würde sich über die gleiche aufmerksamkeit die du dem internet widmest, sicherlich freuen!
2. etwas mehr aufmerksamkeit beim radio höhren, und du bekommst auch mit, wie welches lied heißt. immerhin wird jedes lied angesagt. notfalls kannst du es sogar auf der internetseite des radiosenders herauslesen. auch nachträglich.
3. einkaufszettel schreiben geht um einiges schneller! und mal die grauen gehirnhälften arbeiten lassen um sich 5 sachen zu merken, sollte auch bei dir trotz längerer nichtbenutzung funktionieren. hilft auch, um fürs alter fit zu bleiben.
4. jeder heutige fernseher hat eine videotextseite. ein kurzer druck auf die taste, seite 300 eingeben und schauen was kommt. die neueren tvs bieten eh einen kostenlosen guide an.
5.probiers mal mit einem tageslichtwecker, ist eh ein viel gesünderes aufwachen. auch mal an später denken, den ein telefon direkt neben dem bett ist suboptimal. deine sucht direkt wissen zu wollen was im internet steht, habe ich schon angesprochen. notfalls einen arzt kontaktieren.
6. wetterapp? du hast doch auch so bemerkt das es kalt draußen ist und eine jacke von nöten? zudem: die tagesschau mit wetterbericht läuft immer um 8 uhr abends. dazu brauch man nichtmal eine fernsehzeitschrift weder digital noch geprintet.
7. sämtliche autoradios bedienen speicherkarten. einmal die lieder geladen und eingesteckt, funktioniert. monatlicher wechsel und gut. wobei ich dir auch mal radio mit nachrichten empfehlen würde. ganz nebenbei schont dies auch den akku deines smartphones der bei dir wohl ein großes manko sein dürfte gerade beim iphone.
8. mit dem langwierigen weg einer Bildversendung hast du für das nächste mal gemerkt, dass nicht jede mittagsmahlzeit und ko gepostet werden muss. man beginnt wieder das überlegen, ob dies denn nun sein muss. das einfache posten über das smartphone hat ja nur dazu geführt, dass bilder sämtlichen anspruch an qualität vermissen lassen. sei es optisch oder inhaltlich, meist beides.
9. ein richtiges buch? wow… bemerkt, was ein buch so zu bieten hat mit seinen echten seiten? bei dem man den Fortschritt an der buchdicke erkennt? die eselsohren vom letzmaligen lesen oder des vorgängers? der geruch? und mal nicht von funkwellen durchstrahlt zu werden? kann auch ein gutes gefühl sein…
10. experten raten dazu, nur 2x am tag seine emails zu prüfen. dies dient dem körperlichen wohl und beugt dem burn-out vor. es reicht also diese 2x am tag zu checken. wer ohne 24 stunden support seiner emails nichtmehr an seine überlebensfähigkeit glaubt, hat ein sehr großes mediales problem und sollte spätestens jetzt einen arzt aufsuchen.
11. wer sein telefon aus gesundheitsgründen erst garnicht neben dem bett liegen hat, wird auch nachts nicht von spamnachrichten geweckt. die reichen am morgen noch völlig. ein einfaches ausschalten des „kaputten“ smartphones (das im vergleich zu deinem iphone nicht repariert wurde sondern ausgetauscht) hätte dies ebenso verhindert.
12. wer beim einkaufen sowas elementares wie brot vergisst, dem wird die frische luft gut tun die du morgens auf dem weg zum bäcker genießen darfst. fördert die durchblutung des gehirns imens. getreu dem motto: was man nicht im kopf hat, hat man in den füßen.
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echt eine schande wenn man lesen muss, dass sich menschen völlig abhängig von einem iphone machen, bzw noch schlimmer: das eigene denken abschalten und für die einfachsten dinge keine lösung mehr finden. spätestens beim bezeichnen des UPSfahrers als banause, da er das iphone „nicht zu schätzen weis“, wurde klar, wer sich hier eigentlich im feingefühl vertan hat. sicherlich ist dieser artikel ein stückweit mit humor zu genießen, aber der tenor der daraus zu lesen ist, ist eindeutig und erschreckend.
elektrogeräte wie das iphone werden ihrem eigentlichen sinn entzogen und missbraucht. sicherlich benutze ich auch mal die wetterapp, aber nur, wenn ich den wetterbericht am vorabend verpasst habe. und natürlich verschicke ich auch bilder über mein iphone, bedenke aber die sinnhaftigkeit des einzelnen bildes. man ist ja kein kunst“banause“.
die elektrogeräte sind dafür da, uns in situationen zu unterstützen und nicht komplett das eigenständige denken zu ersetzten. was daraus folgt sieht man ja; völlige abhängigkeit, die eine mutter dazu veranlasst, nichtmal mehr zu wissen wie man im fernsehprogramm nachschaut was gerade läuft oder herauszufinden wie ein lied im radio hieß. zu guter letzt vergaß sie sogar brot für sich und ihren sohn zu kaufen!
eine sehr gefährliche entwicklung wie ich finde, gerade wenn auch verantwortung für weitere personen im haushalt zu übernehmen ist.
zum schluss noch folgendes: mich würde mal interessieren wieviele artikel du deinem kind gewidmet hast? bekommt es ebensoviel aufmerksamkeit von dir wie deine internetfreunde? den man bekommt hier eindeutig das gefühl, das dieses ebenso unter ihrer smartphone sucht leidet. immerhin wurde es in ihrem tagesablauf nicht einmal erwähnt.
Mini meint
Einfach nur genial und ich musste sogar etwas lachen, denn momentan geht es mir ähnlich… 🙂